Die Revolution des papierlosen Büros ist bisher ausgeblieben. Eine gewisse Papierdiät ist aber immerhin festzustellen. Wohin mit den Daten? Was ist dabei zu beachten? Und welche Möglichkeiten tun sich auf den neuen Flächen auf? Ein Essay über den echten und virtuellen Stauraum in unserem Büro.
„Unser gesamtes Büro läuft heute mehr oder weniger papierlos“, sagt Andreas Gnesda. Der stets geschniegelte und gestriegelte 49-Jährige führt durch sein 380 Quadratmeter großes Office-Reich in Wien-Mariahilf und verweist auf die Kreativräume, die etwa einem Wiener Kaffeehaus, einem Kaminzimmer oder einem Birkenhain nachempfunden sind. Gnesda arbeitet nonterritorial, sucht sich seinen Arbeitsplatz je nach Anforderung, je nach Lust und Laune jeden Tag, ach was, jede Stunde aufs Neue aus. Und das, meint er, sei nur möglich, wenn man nicht die ganze Zeit mit zehn Ordnern und einem Haufen Zettelwerk herumhantieren muss. „Aber soll ich Ihnen was verraten? Ich bin zwar ein Anhänger des papierlosen, elektronischen Büros, aber so ganz kann und will ich auf Papier auch nicht verzichten.“
Die Worte des Immobiliendienstleisters und Consulters Gnesda geben einen guten Einblick in die neuesten Entwicklungen im Bereich der Office-Organisation und Arbeitsplatzgestaltung. Große Unternehmen, so der Geschäftsführer von teamgnesda, hätten gar keine andere Wahl als die allmähliche Umrüstung von Papier auf Bits und Bytes. „Die Unternehmen werden immer mobiler und immer dezentraler, die Arbeitsschritte immer differenzierter, die Kommunikationsprozesse immer wichtiger. Hinzu kommt, dass die Menschen häufig ohne fixen Arbeitsplatz im Büro arbeiten – beispielsweise im Home-Office, im Außendienst oder im Shared Space. Mit Unmengen von Papier ist das alles längst nicht mehr zu bewältigen.“
Bis zu 75 Prozent weniger Papierbedarf.
Doch was sind die Folgen, wenn das Papier verbannt wird, wenn die Daten, mit denen man arbeitet, nur noch virtuell verfügbar sind? „Keine Sorge“, beruhigt Bernhard Herzog, Leiter für Forschung und Entwicklung beim Strategieberater M.O.O.CON, „zu 100 Prozent virtuell sind die Daten nicht und werden es auch nie sein. Aber tatsächlich nehme ich bei den Projektentwicklungen, die wir in letzter Zeit begleitet haben, wahr, dass der Papierbedarf bei mittelständischen und größeren Unternehmen um bis zu 75 Prozent zurückgegangen ist.“
Die letzten „25 Prozent Papier“, von denen Herzog spricht, seien im Kreativ- und Ideenfindungsprozess unverzichtbar. Auch heikle Dokumente wie etwa Verträge werde man, solange die technischen und juristischen Knackpunkte noch nicht gelöst sind, im Original unterzeichnen und auch als solche aufbewahren müssen. Und nicht zuletzt gebe es wertvolle „Altlasten“ (O-Ton Herzog), die eine nachträgliche Digitalisierung erschweren: „Historische Pläne, Zeichnungen, Fotografien und ganze Aktensätze aus der Vergangenheit einzuscannen… das ist aufwändig, zeitintensiv und so gesehen auch sehr teuer. Ich denke, in diesen Bereichen wird man für das Papier bis auf weiteres keinen Ersatz finden.“
Mehr Ästhetik, mehr Übersicht, mehr Flächenersparnis.
Fragt sich nur: Wohin mit der ganzen Zellulose? Und vor allem: Wohin mit dem papierlosen Rest? „Die Archivierung und Altablage in Papierform findet nicht mehr im unmittelbaren Bereich des Arbeitsplatzes statt, sondern wird vermehrt in zentrale Stauräume ausgelagert“, erklärt Oliver Pestal von designfunktion. „Je nach räumlichen Gegebenheiten passiert das entweder im Keller, im Kern des Gebäudes oder aber in externen Lagerstätten mit einer entsprechend zugekauften Dienstleistung, die es ermöglicht, dass der Karton XY auf Anfrage aus dem Archiv entnommen, ins Büro geliefert und auf meinem Schreibtisch abgestellt wird.“ Der Vorteil dieser zentralen Verstauräumung: Erstens mehr Ästhetik im Büro, zweitens mehr Übersicht über die Akten, und drittens Flächenersparnis bei der Verstauung und letztendlich auch bei der Gesamtmietfläche der Immobilie.
„Ich warne davor, die Zentralisierung des Stauraums nur aus Effizienzgründen zu machen“, erklärt Bernhard Kern, Geschäftsführer der Roomware Consulting GmbH. „Natürlich kann ich den Arbeitsplatz effizienter gestalten, wenn ich digital arbeite und nicht mehr mit Zettelwerk und aufgeschlagenen Ordnern operieren muss. Aber letztendlich geht es im papierlosen oder papierarmen Büro nicht darum, dem Mitarbeiter Fläche zu nehmen, sondern ihm einen Mehrwert im Komfort, im Wohlbefinden und in den Wahlmöglichkeiten seines Arbeitsplatzes zu bieten.“
Schritt für Schritt und mit System zum papierlosen Büro.
Um eine reibungslose Orientierung im digitalen Äther zu gewährleisten, sind einige wichtige Schritte zu beachten . „Enterprise Content Management“ (ECM) nennt sich das im Fachjargon. „Wenn ich mich für ein papierloses Büro entscheide, dann sollte diese Umrüstung konsequent und durchgreifend erfolgen“, rät Heino Schneider, Geschäftsführer der deutschen bitfarm. „Wichtig ist es, dass die Elektronik das Papier ersetzt und nicht ergänzt – sei es bei Eingangs- und Ausgangsbelegen, bei Planablage oder bei internen Kommunikationsprozessen. Wenn man das Scannen der Rechnungen als Ergänzung macht, dann kommt erfahrungsgemäß irgendwann das Chaos.“
Ein redundantes und somit sicheres System sei auf jeden Fall erforderlich, meint der Chef des 2000 gegründeten Unternehmens, das sich auf die Entwicklung einer eigenen Open-Source-Software sowie auf die damit verbundenen Dienstleistungen spezialisiert hat. „Allerdings rate ich zu einer Redundanz im Sinne einer Abspeicherung auf zwei unterschiedlichen Servern. Wenn der eine ausfällt, kann ich immer noch auf den anderen zugreifen. Papier solle hier aber nirgends mehr im Spiel sein.“ Zu achten sei außerdem auf das richtige Taggen der Dokumente, auf standardisierte Such- und Findungsprozesse sowie vor allem auf den Faktor Zeit. Schneider: „So eine Umstellung von der papiergebundenen zur elektronischen Ablage geht nicht von 0 auf 100. Ich würde raten, die Umstellung nach Abteilungen oder Formaten zu strukturieren und Step by Step zu machen.“ Bei mittelständischen Firmen benötige so ein Prozess in der Regel drei bis sechs Monate, bei größeren Unternehmen könne die Umrüstung leicht zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen.
Let's go digital!
„Die Zukunft wird digital werden, daran führt kein Weg vorbei“, meint Karl Heinz Mosbach, Geschäftsführer der ELO Digital Office GmbH, die Unternehmen in Österreich und Deutschland betreut. „Damit wir diese Zukunft in den Griff kriegen, empfehle ich, Standard-Formate zu verwenden, die die Lesbarkeit der Daten auch nach vielen Jahren sicherstellt, sowie ein ausreichendes Back-up-System.“ Außerdem müssten die Daten in revisionssicheren, also nicht wiederbeschreibbaren Dateiformaten wie etwa TIFF oder PDF/A abgespeichert werden. Mosbach: „Meine Vision ist, dass wir die digitale Speicherung in Zukunft nicht nur als totes Dokumentenarchiv verwenden, sondern auch als Plattform für lebendige, kollaborative, teamorientierte Arbeitsprozesse im Alltag.“ In Zukunft, so die Prognosen, werden die Schreibtische wieder kleiner werden, die Aktenschränke ausgelagert oder aufgelöst und die Daten im digitalen Äther verschwinden. Für die Gestaltung des Arbeitsplatzes und der damit verbundenen Kommunikationswege tun sich damit neue, bislang verstellte Räume auf.
Wojciech Czaja