Bürodekoration – ästhetischer Horror oder emotionale Notwendigkeit? Unser Autor Wojciech Czaja hat sich an seine eigenen Jahre im Großraumbüro erinnert und hat zum Kitsch am eigenen Arbeitsplatz eine ganz klare Meinung. Denn: Ein schönes Herz schafft sich selbst seine Bürowelt.
Ein ehemaliger Kollege und Großraumbüroschreibtischnachbar von mir, nennen wir ihn einfach Markus, ist ein Hansdampf in allen Gassen – und vor allem auf allen Tagungen und Konferenzen. Als Fachjournalist jettet er um die Welt und lauscht einschlägigen Vorträgen und Diskussionen zu den Themen Logistik, Technologie und Digital Solutions. Als Souvenir nimmt er die bunten Badges und folierten, eingeschweißten Namensschilder mit nach Wien und hängt sie seiner Tischleuchte um den Lampenkopf. Nach einigen Jahren war es um uns geschehen. Des Kollegen Reisen – und vor allem seine Rückkehren – haben uns zunehmend animiert und belustigt, denn mit jedem weiteren importierten Konferenz-Badge wurde die Statik und Federmechanik seiner silbergrauen Schreibtischleuchte um ein paar weitere Dekagramm gechallenged, bis sie schließlich – am Ende ihrer Leuchtkraft und Tragfähigkeit angelangt – mehr Schatten als Licht spendete und unter der Last der umgehängten Souvenirs das Gleichgewicht verlor und mit einem Mal zu Boden krachte.
Keine Sorge, die alten Badges verschwanden zwar in der Schublade, aber Markus ließ sich seine Jagd- und Sammelleidenschaft nicht nehmen. Er beschloss, bei Null anzufangen und seine Leuchte – dasselbe Produkt, eine kleine Delle im Schirm – von Neuem zu garnieren. Wann auch immer ich auch heute noch auf Konferenzen gehe und beim Check-in ein knallig buntes Dingsbums überreicht bekomme, um es mir um den Hals zu hängen, muss ich an meine alten Großraumbürozeiten und an das urplötzliche Lampenkrachbumm zurückdenken.
Markus ist nicht der Einzige, der einen Hang zu Bürodekoration hat – wenngleich sein Faible weitaus raffinierter ist als all die Katzenbilder, Urlaubsansichtskarten und Copyshop Kaffeebecher mit „Alltagsheld“- Aufdruck, die man üblicherweise vorfindet. Es sind kleine Handschriften, mit denen Büroangestellte versuchen, gegen die Uniformität ihrer Arbeitsplätze anzukämpfen – mit dem Ziel, dem mausgrauen, uninspirierten Einheitsbrei zu entkommen und dem eigenen Topos einen Hauch Individualität zu verleihen. Man kann es niemandem verübeln.
„Ein schönes Herz hat bald sich heimgefunden, es schafft sich selbst, still wirkend, seine Welt“, hatte Friedrich Schiller in seinem Drama „Die Huldigung der Künste“ einst geschrieben. Genau genommen hatte er diese Worte seinem Protagonisten Genius in den Mund gelegt. Und Genius weiß, wovon er spricht. Bis heute ist die Schaffung der eigenen Welt ein Grundbedürfnis des Menschen – ob das nun im Wohnen, in der Arbeit oder in der freizeitlichen Betätigung ist. Umso wichtiger ist es, dass auch Arbeitgeber diesen Wunsch, diesen Drang anerkennen und der notwendigen Selbstverwirklichung entsprechenden Spielraum einräumen.
Was im klassischen Büro vielleicht nicht immer gewünscht, so doch meistens still geduldet wurde, stellt die Bürogestalter*innen in Zeiten flexiblen und dezentralen Arbeitens vor gänzlich neue Herausforderungen: Wie kann man einem Ort eine persönliche Handschrift verleihen, wenn man ihn täglich wechselt, täglich nur für wenige Stunden bevölkert, bevor man wieder ins Home-Office entschwindet oder im digitalen Äther untertaucht und sich jede materielle Besetzung auf Knopfdruck entmaterialisiert? Die gute Nachricht: Es geht. Vielleicht nicht mit Urlaubsfotos, Ansichtskarten und Konferenz-Badges, dafür aber mit individualisierten, angepassten Applikationen auf der Hardware- und Software-Ebene. So wie auch unsere iPhones bunte Silikonhüllen und farbige Ladekabel tragen und mit ausgewählten Sperrbildschirmen und Hintergrundbildern personalisiert werden, so können auch Arbeitsinseln entsprechend individualisiert und auf persönliche Bedürfnisse abgestimmt werden.
Wenn Adolf Loos in seinem Werk „Ornament und Verbrechen“ ein Gleichnis schafft, das die Architekturgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts maßgeblich geprägt hat, dann muss man diesem Glaubenssatz im Zeitalter von Digitalisierung und neuer Arbeitskultur aufs Heftigste widersprechen. Büros brauchen – neben den selbstverständlichen Aspekten von Komfort, Konzentration und Corporate Identity – auch Schönheit, Dekoration und vielleicht sogar ein bisschen Kitsch und Katzenkrimskrams, ob das nun auf der Pinnwand, am Bürotrolley oder am Desktop ist.
Es gibt nichts Schlimmeres als ein von oben verordnetes Dekorationsverbot. Und wenn Ihre Mitarbeiter*innen für ihre persönlichen Gadgets kämpfen und aus lauter Verzweiflung ihre alten Omama-Topfpflanzen mit Hydrokultur-Kugerln ins Büro mitnehmen, dann sollten Sie, lieber Arbeitgeber, nicht das Symptom bekämpfen, sondern sich auf die Suche nach der Ursache begeben. Mein Markus, der sammelt noch immer. Einfach genial.
Wojciech Czaja
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