Die Künstliche Intelligenz hat im Berufsalltag längst Einzug gehalten. Doch Achtung: Expertengeben zu bedenken, dass wir mit der zunehmenden Digitalisierung auch unsere klassisch humanen Fähigkeiten wie Haptik, Kommunikation und Emotionskompetenz nicht außer Acht lassendürfen. Das eine bedingt das andere. Fragt sich am Ende: Welche Auswirkung hat das Ganze auf die Gestaltung unserer Arbeitsräume?
„Wie kann ich helfen?“, fragt Robert. „Einverstanden. Ich zeige Dir den Detailplan für den Pfeiler 5.3 im zweiten Untergeschoß Garage.“ Kaum ist der Plan geöffnet, stellt sich heraus, dass der Kfz-Anfahrschutz aus verzinktem Stahl falsch produziert und entsprechend fehlerhaft montiert wurde. „Ich schicke die soeben erstellten Mängelfotos mit deiner digitalen Unterschrift nun direkt ans Baubüro. Soll ich ein Ersatzbauteil bestellen? Einverstanden. Ich bestelle ein Ersatzbauteil Anfahrschutz für Pfeiler 5.3 im zweiten Untergeschoß Garage. Lieferung in zehn Werktagen. Wie kann ich sonst noch helfen?“
Robert trägt einen türkisfarbenen Overall und einen orangen Bauhelm am Kopf. Außerdem hat er ein unwiderstehliches Lächeln wie in der Zahnpasta-Werbung und eine angenehme, sympathisch wirkende Stimme wie aus dem Hörbuchland. „Robert ist unsere neueste Entwicklung, um die Produktions-, Montage- und Serviceprozesse auf der Baustelle zu vereinfachen“, sagt Benjamin Schwärzler, Geschäftsführer des Wiener Unternehmens Tablet Solutions sowie Gründer und Erfinder des digitalen Baustellen-Assistenten WorkHeld, auf den bereits Firmen wie etwa Siemens, Daimler und der österreichische Seilbahnhersteller Doppelmayr zurückgreifen. „Mit Robert spart sich der Bauarbeiter auf der Baustelle das Tippen und kann die Mängelmeldung und Mängelbehebung nun noch schneller, noch effizienter abwickeln als bisher. Damit können wir massive Reibungsverluste in der Kommunikation und im Baustellenbetrieb vermeiden.“ Die Anwendungsbereiche von WorkHeld umfassen neben Mängelmanagement etwa Material- und Anlagenmanagement, Baustellenlogistik, Geräteservice, Zeit- und Spesenerfassung sowie jegliche Form von automatischen Reports aus dem Bereich der Bauwerkserrichtung und des Facility-Managements. Dank künstlicher Intelligenz ist die App laut Hersteller in der Lage, selbstständig dazuzulernen. Stellt sich also unweigerlich die Frage: Wird Robert eines Tages den Menschen ersetzt haben?
Experten erwarten durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) bis zum Jahr 2025 allein in Österreich rund 48 Milliarden Euro an zusätzlicher Produktion und rund 38 Milliarden Euro an zusätzlicher Wertschöpfung. „Sichtbarkeit und Konnektivität sind die prägenden Merkmale einer Smart Factory“, sagt Roland Sommer, Geschäftsführer der 2015 gegründeten Plattform Industrie 4.0, die sich zum Ziel gesetzt hat, die neuen technologischen Entwicklungen und Innovationen im Bereich der Digitalisierung bestmöglich zu nutzen und den Wandel für die Gesellschaft sozialverträglich zu gestalten. „Die Mitarbeiter haben jederzeit Zugriff auf Zeitpläne, Qualitätsdaten, Bestandsstatus und Bedarfsänderungen. Die einzelnen Abteilungen des Unternehmens können elektronisch miteinander verbunden werden, um zusammenzuarbeiten und die Produktivität und Effizienz zu erhöhen.“
Und doch haben die meisten Menschen Angst, wenn sie thematisch mit KI in Berührung kommen. Laut einer Untersuchung in Deutschland sehen 41 Prozent der Angestellten in den neuen KI-Anwendungen eine Bedrohung für das Überleben der Menschheit, 25 Prozent fürchten, dass intelligente Computer ihren Job übernehmen, und 17 Prozent sehen ihre Privatsphäre gefährdet. „Dabei beruht die Furcht vor der Weltherrschaft der Roboter und einem digitalen Prekariat auf der Ungewissheit vor allem Neuen, und eigentlich trifft das auf jede Innovation zu“, schreibt der deutsche Unternehmer und SPD-Mittelstandsbeauftragter Harald Christ in einem Gastkommentar im Handelsblatt. „Als die Eisenbahn erfunden wurde, glaubten Wissenschaftler, dass den Menschen bei Geschwindigkeiten von mehr als 30 Stundenkilometern Geistesstörungen drohen. Selbst das Automobil wurde zunächst angefeindet. Verängstigte Bürger gruben Ende des 19. Jahrhunderts Straßen auf oder spannten Seile darüber, um die neuen Motorkutschen zu stoppen.“
Rückblickend aber, so Christ, sei noch keine Innovation in einer Katastrophe geendet. Keine habe je unseren Wohlstand verringert. Und keine habe uns Massenarbeitslosigkeit beschert.
Damit auch die aktuell vonstattengehende Disruption dem Menschen nutzt und nicht schadet, bedarf es einer entsprechenden Auseinandersetzung mit dem Thema. „Das Wichtigste ist, Digitalisierung und Künstliche Intelligenzen zu entnegativisieren und den Wandel als Chance und Hilfestellung anzuerkennen“, meint die Wiener Organisations- und Arbeitspsychologin Bettina Wegleiter. „Idealerweise übernimmt die KI Routinetätigkeiten, die eh niemand machen will: Organisation, Kaufmännisches, Zahlen- und Datenkontrollen. Das macht Ressourcen frei für neue, effizientere und höher qualifizierte Jobs im Unternehmen. Aber ja, natürlich wird es notwendig sein, in diesem Flow mitzuschwimmen. Wer nicht mitmacht, wird früher oder später den Kontakt verlieren.“ Das deckt sich auch mit der Einschätzung von Guido Zimmermann, Senior Economist bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW): „Das größte Problem wird nicht sein, dass uns die Arbeit ausgeht, sondern dass sich die Art der Arbeit ändert und wir uns rechtzeitig darauf einstellen müssen.“
Die größten Änderungen sind im produzierenden Gewerbe, in der TMT-Branche (Technologien, Medien, Telekommunikation) sowie im Fintech-Bereich zu erwarten. Schon heute wird ein Großteil von Anlageberatungen von Robo-Advisors übernommen, also von Algorithmen, die hinsichtlich Dauer, Anlagesumme und Risikobereitschaft die jeweils beste Anlageform für den Endkunden kalkulieren und automisch die entsprechenden Investitionen tätigen. Ähnlich verhält es sich bei komplexen juristischen Fällen, bei Bewerbungsverfahren oder etwa bei Online-Kundenbetreuung. Beim Online-Händler Zalando sollen rund 250 Marketing-Spezialisten eingespart und durch Algorithmen ersetzt werden. Und während die China Merchants Bank früher rund 7.000 Mitarbeiter beschäftigte, die sich um Kundenanfragen kümmerten, übernimmt ein einziger Bot heute automatisch bis zu zwei Millionen Kommunikationsfälle pro Tag.
Hinzu kommen längst schon im beruflichen Alltag eingesetzte IT-Programme wie etwa Datev (Software- Cloud für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte), Ross (Assistenzsystem für Gerichts-urteile), Amelia (Q&A in der Kundenbetreuung), Xander (Emotionen-Erkennung bei Menschen) und sogar Cogito, das programmiert ist, menschliches Verhalten zu studieren, Emotionen auszuwerten und Mitarbeiter in Callcentern beispielsweise darauf hinzuweisen, wenn sie ungeduldig werden oder unfreundlich kommunizieren. Apple’s Siri, Amazon’s Alexa und Google’s Home werden einem künftig also die emotionalen Leviten lesen. Sehr spooky.
Eine 2018 veröffentlichte OECD-Studie kommt zu dem Schluss, dass in den Industrieländern jeder zweite Job wesentlich von Automatisierung betroffen sein werde. 14 Prozent aller Berufsbilder seien nach heutigem Stand „hoch automatisierbar“ und daher besonders gefährdet. In den USA sei der Anteil laut einer Detailstudie des Ökonomen Carl Benedikt Frey und des Informatikers Michael Osborne sogar noch höher. Ein ebenfalls von der OECD entwickeltes Tool hilft nun Arbeitnehmern, die Auswirkungen auf den eigenen Job zu prognostizieren. Ein erster Selbsttest offenbart schlimmste Zukunftsbilder für Texter und Journalisten. Danke, Zukunft!
„Die Entwicklung ist nicht aufzuhalten, aber damit die Funktionsteilung zwischen Mensch und Maschine gut funktioniert, braucht es eine sorgfältige Begleitung“, erklärt Christian Blind. Schon seit geraumer Zeit beschäftigt sich der Salzburger Arbeitspsychologe mit sogenannter rechnergestützter geistiger Arbeit (RGA) und ihren Auswirkungen auf den Büroalltag. „Man kann nicht einem Mitarbeiter einfach nur eine Alexa hinknallen und warten, was passiert. Bei der Implementierung humanzentrierter Technologien müssen Werkzeuge angewandt werden, die eine schrittweise Aneignung von Innovationen auf transparente und menschlich angenehme Weise ermöglichen.“ Eigene Normen wie etwa die ISO 14915 und die DIN EN ISO 13407 sollen das Usability Engineering und die Benutzerfreundlichkeit neuer Software vereinheitlichen. „Denn“, so Blind, „zu Beginn wissen die Menschen meist noch nicht, was sie alles nicht wissen.“
Fragt sich am Ende: Welche Auswirkungen hat KI eigentlich auf die physische Form unserer Arbeitsräume? In der Schweiz sind das genau jene Fragen, mit denen Studenten auf Hochschulen und Universitäten im Lehrplan heute schon intensiv konfrontiert werden. „Ohne Sensibilisierung kann das Thema in Angst und Ablehnung kippen“, sagt Sibylla Amstutz, Professorin für Technik und Architektur sowie Leiterin der Forschungsgruppe Architektur und Innenarchitektur an der Hochschule Luzern. „Daher versuchen wir unsere Studierenden so auszubilden, dass sie die neuen Technologien mit einer Selbstverständlichkeit in ihre Expertise integrieren können. Wir forschen anwendungsorientiert und beraten Unternehmen in Change-Management-Prozessen und Implementierungen von Scrum, neuen Technologien und künstlichen Intelligenzen.“
Die wichtigste Erkenntnis aus den gemeinsamen Workshops: „Vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung gibt es eine Sehnsucht nach physischen, haptisch spürbaren und emotional berührenden Räumen – und das ist eine deutliche Gegentendenz zur den digitalen, künstlichen und virtuellen Entwicklungen“, so Amstutz. „Der Einzelarbeitsplatz, wie wir ihn kennen, wird mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt. Auch klassische Besprechungszimmer mit Clean-Desk-Policy werden in Zukunft an Bedeutung verlieren. Stattdessen entstehen neue Kollektiv- und Kommunikationsräume, in denen man wie bei Scrum üblich auch kreative, projektbezogene Spuren auf den Tischen, an den Wänden, in den Räumen hinterlassen kann. Es geht um Orte der zwischenmenschlichen Begegnung – mit aller Emotionalität und Körperlichkeit.“
Eine schöne Anekdote hat die Professorin parat: In ihren jüngsten Projekten, die sie im Zuge eines digitalen Changes betreute, wünschten sich die jungen Mitarbeiter tendenziell hellere Farben, natürlichere Materialien und ein generell gemütlicheres Arbeitssetting als die weitaus älteren Mitarbeiter, die zwar schon länger im Unternehmen sind, dafür aber weniger Berührungspunkte mit neuen Technologien haben. „In einem unserer Projekte gibt es sogar ein kleines Team sehr junger Leute, die jeden Tag gemeinsam durch das Büro spazieren und sich im Kollektiv um die Pflanzen kümmern. „Das stimmt einen bei aller künstlichen Intelligenz doch zuversichtlich, oder?“
Autor: Wojciech Czaja, Architekturjournalist