Siemens hat es gemacht. Lufthansa hat es gemacht. Und der Chemiekonzern Bayer hat es auch gemacht. Die Rede ist von Change-Management, also von einer tiefgreifenden Veränderung von Strukturen, Prozessen und Verhaltensweisen. Doch was ist dran an diesen Changes? Und wozu braucht es sie?
„Veränderungen, auch ganz dramatische Veränderungen, sind unvermeidbar“, sagt Harald Katzmair, Gründer und Geschäftsführer des auf soziale Netzwerkanalyse und Resilienzstrategien spezialisierten Instituts FASresearch. „Einerseits verändern sich die Rahmenbedingungen auf dem Markt – sei es durch Landflucht, Demografiewandel oder neue, Einzug haltende Technologien wie etwa Digitalisierung, Robotisierung oder das Internet der Dinge. Andererseits fallen die Reaktionen auf diese globale Veränderung zum Teil so heftig und so unmittelbar aus, dass die wirtschaftlichen Zyklusphasen immer wilder werden. Ich beobachte manisch-depressive Zyklen, die größer und mächtiger sind als je zuvor.“
Um diese Zyklen – und hier vor allem den unausweichlichen, natürlich eintretenden Fall von der Hochblüte einer Organisation zu deren Disruption, der uns allen zum Zeitpunkt X bevorsteht – zu überleben, haben Unternehmen schon vor langer Zeit begonnen, sich in regelmäßigen Abständen neu zu erfinden. Das Phänomen ist nicht neu, wenngleich der in den Medien immer häufiger kursierende modisch angehauchte Begriff des sogenannten Change-Managements suggeriert, es handle sich um eine noch junge, bescheiden erforschte Erscheinung. Das ist sie nicht. Siemens hat schon vor langer Zeit beschlossen, seine einst vier Geschäftssektoren Gesundheit, Energie, Industrie sowie Infrastruktur & Städte zu mergen und auf diese Weise die Kommunikations- und Arbeitsabläufe zu beschleunigen und näher an den Kunden zu rücken. Lufthansa hat seinen Top- down-Ansatz vor einigen Jahren aufgegeben und stattdessen ein Modell eingeführt, das in Teilentscheidungen nicht die Vorstandsebene, sondern eine kritische Masse von Akteuren in die Verantwortung nimmt. Und bei Bayer blieb durch die Abspaltung der Kunststoff sparte und die Übernahme des Agrarkonzerns Monsanto im Juni dieses Jahres kein Stein auf dem anderen. „Wir haben uns intensiv mit unseren Werten und der Unternehmenskultur auseinandergesetzt“, erklärte Matthias Schramm, Change- Manager bei Bayer, unlängst in einem Interview mit dem Harvard Business Manager. „Das Ergebnis ist ein umfassendes Change-Management-Programm, bei dem wir zum ersten Mal mehr experimentieren als kontrollieren."
Doch damit ein solcher Change-Management-Prozess erfolgreich über die Bühne geht, meinte bereits der 2015 verstorbene Psychologe und Wirtschaftspapst Peter Kruse, brauche es bei all dieser Chaoslust und Experimentierlaune unbedingt ein paar konstante Parameter: „Change-Management ist der Übergang von einem stabilen makroskopischen Ordnungsmuster zu einem anderen stabilen makroskopischen Ordnungsmuster. Und natürlich muss man, um von einer Ordnung in eine anderen zu wechseln, die Stabilität stören und eine krisenhafte Störung zulassen, in der das Unternehmen für einen Moment nicht mehr so handlungs- und leistungsfähig ist wie es mal war. Nach diesem dramatischen Wandel jedoch muss wieder die Stabilität Einzug halten. Das hat nichts mit panta rhei und Alles-ist-im-Fluss-Fantasien zu tun, wie viele glauben.“
Am leichtesten und erfolgreichsten, erklärt Karl Friedl, Geschäftsführer der in Österreich und Deutschland tätigen M.O.O.CON GmbH, gestalte sich ein Change-Management-Prozess, wenn er nicht einzig und allein aus einer ökonomischen Zwangslage heraus entsteht, sondern aus dem aktiven Wollen entspringt. „Die Vision muss klar definiert und auch ersichtlich sein, sonst ist so ein schwieriger und manchmal auch schmerzvoller Prozess – ob das nun ein neuer Führungsstil, die Implementierung von flacheren Hierarchien oder der Übergang zu eigenverantwortlichem Handeln ist – kaum zu stemmen.“ Der auf Strukturveränderung spezialisierte Experte empfiehlt, vor Beginn eines solchen Prozesses sowohl das Unternehmen als auch seine Individuen zu ertüchtigen, denn: „Ein tiefgreifender Veränderungsprozess führt durch das Tal der Tränen. Wer nicht fit ist, der verbrennt.“ Die Folge sind Burn-out oder sogar ganze kollabierende Systeme. „Die zweite Führungsebene ist in einem Change-Management-Prozess oft die Bremse, denn in Sandwich- Positionen gibt es dabei fast immer nur Verlierer“, gibt Friedl zu bedenken. „Schenken Sie diesen Personen daher bitte vermehrte Aufmerksamkeit!“
Ratsam sei es, einen Change nicht nur abstrakt zu vollführen, sondern den Wechsel vom Zustand A zum Zustand B mit einem spürbaren und vor allem visuell oder emotional erfahrbaren Vehikel zu bestärken. Friedl: „Ein Change-Management-Prozess wird schwierig zu lenken sein, wenn ich als Mitarbeiter den Wandel nicht physisch und psychisch erleben kann und immer noch den gleichen alten Stand-PC und das gleiche alte Festnetztelefon vor mir habe.“ Neue Möbel, neue Räume, neue Standorte auf der realen Ebene beziehungsweise neue Wordings, neue Marketing-Instrumente, neue IT-Schnittstellen auf der virtuellen Ebene seien hilfreiche Begleiter. Das weiß auch Martin A. Ciesielski, Geschäftsführer des Berliner Consulting-Unternehmens Medienmosaik. Der ehemalige Banker fokussiert sich auf Social Prototyping und berät Change-Management-Kunden in Form von Impro-Theater, systemischer Arbeit und maßgeschneiderten Kompetenzschulungen.
„Man muss einen Systemwechsel spüren, damit man weiß, wo es hingeht und wie es sich dort anfühlt. Und die meisten erkennen, dass es sich sehr beschissen anfühlt, alles loszulassen und für einen Moment vor dem Nichts zu stehen. Diese essenzielle Erfahrung hat ein enormes Potenzial.“ Um Manager und Geschäftsführer auf diesem Weg zu begleiten, hat er letztes Jahr die Plattform The School of Nothing gegründet. „In dieser Schule vermitteln wir unseren Partnern und Kunden, wie sie das Nichts aktiv gestalten können und wie ein Unternehmen diese Nahtod-Erfahrung am besten verarbeiten kann“, so Ciesielski. „Denn wenn man das nicht aktiv übt, dann ist Change-Management nur ein bedeutungsloses Buzz-Word oder ein Bullshit-Bullet-Point am Flipchart.“ Oder, wie Romy Sigl, Leiterin von Coworking Salzburg, meint: „Das Dilemma mit Change-Management ist, dass dieser Prozess viel mit Lernfähigkeit und mit einem konstruktiven Umgang mit Feedback zu tun hat. Kritikfähige Unternehmen und Führungspersönlichkeiten, die in der Lage sind, aus Kritik und Feedback Neues zu entwickeln, benötigen kein Change-Management. Und jene, die damit nicht umgehen können, werden es durch einen Change-Management-Prozess auch nicht erlernen.“
Dass die tiefgreifende Veränderung von Strukturen, Prozessen und Verhaltensweisen auch schiefgehen kann, beweisen viele dokumentierte Misserfolge wie etwa des US-Handelsunternehmens J.C. Penny, des norwegischen Papierherstellers Norske Skog oder des dänischen Spielzeugherstellers Lego, der in seiner Hochblüte um das Jahr 2000 seinen Führungskräften so viele Freiräume bot und seine Mitarbeiter zu so vielen Experimenten ermutigte, dass der Bausteinmagnat wenige Jahre später vor dem Bankrott stand. Eine schmerzvolle Erfahrung machte auch Heini Staudinger mit seinem Unternehmen Waldviertler Schuhe. Vor einigen Jahren begann er, in der Schuhwerkstatt und in der angegliederten GEA Akademie ein soziokratisches Führungsmodell zu implementieren – und musste heuer feststellen, wie schwierig es ist, 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diesen Weg mitzunehmen. „Der größte Feind der Veränderung ist die Gewohnheit“, sagt Staudinger, „und die hat uns fast das Genick gebrochen. Das Gewohnte zu verteidigen und zu bewahren ist ein natürlicher Instinkt des Menschen, und dagegen anzukämpfen und damit konstruktiv umzugehen ist uns bei aller Mühe nicht gelungen.“
Heute weiß Staudinger, der den Change-Management-Prozess mit einer Notbremse stoppte: „Veränderung darf kein Schmäh sein. Das Mitnehmengrößerer Teile der Belegschaft verlangt eine sehr große Anstrengung, die wir auf der Führungsebene in den letzten Jahren ehrlich gesagt zu wenig ernst genommen und daher auch zu wenig aktiv betrieben haben. Change-Management funktioniert meiner Erfahrung nach nur dann, wenn Wollen und Können zusammenfallen, wenn nicht nur der Wille da ist, sondern auch die Kompetenz. Und dazu braucht es dringend externe, hochprofessionelle Begleitmaßnahmen.“ Danke, Heini Staudinger, für das so wertvolle Teilen dieser Erfahrungswerte.
Autor: Wojciech Czaja, Architekturjournalist