„Eine Frau muss Geld und ein eigenes Zimmer haben, wenn sie Romane schreiben will“, sagte die im Londoner Stadtteil Bloomsbury lebende Schriftstellerin Virginia Woolf. Ihre Worte hallen lange nach: Genau hier wird der europa- weit erste Coworking Space für Frauen betrieben. Zu Besuch im The AllBright.
Mitten im Londoner Zentrum, nur wenige Schritte vom British Museum und von den berühmten Theatern des West End entfernt, befindet sich das poshe Künstler- und Boutiquenviertel Bloomsbury. Enge Gässchen mit Pflastersteinen, cremefarben lackierten Schaufenstern und junger, britischer, darin ausgestellter Designermode prägen das seit Jahren gehypte Viertel. Hinter einer der ziegelroten Backsteinfassaden jedoch, 11 Rathbone Place, verbirgt sich eine einzigartige Besonderheit. Handelt es sich bei dieser Immobilie doch um einen Ort, der nur seltenst von Männern, in aller Regel dafür von selbstständig arbeitenden Frauen aus allen möglichen beruflichen Sparten aufgesucht wird.
The AllBright, so der offizielle Name des rund 400 Quadratmeter großen, fünfstöckigen Townhouses, ist Europas erster Coworking Space für Frauen. „Die Idee dazu hatte ich vor einigen Jahren, als wir uns über die berufliche Situation von Frauen unterhalten haben“, sagt Debbie Wosskow, Co-Gründerin und Geschäftsführerin des 2016 eröffneten The AllBright, das sie gemeinsam mit ihrer Business-Partnerin Anna Jones leitet. „Denn die statistischen Zahlen in Großbritannien sind wirklich besorgniserregend.“ In Führungspositionen gebe es demnach sechsmal weniger Frauen als Männer – und das, obwohl jede zehnte Frau am liebsten selbstständig arbeiten oder gerne ein Unternehmen führen würde. Hinzu kommt, dass die Zahl der britischen Gründerinnen seit rund 20 Jahren stagniert. „Das ist ein erschreckendes Zeugnis. Also haben wir beschlossen, diesem Umstand ein Ende zu bereiten und einen Coworking Space zu eröffnen, in dem die Frauen miteinander ins Gespräch kommen und sich beruflich vernetzen können.“
Die genaue Zahl der aktuell eingetragenen Mitgliederinnen will Wosskow für sich behalten. Und verrät nur so viel: „Wir hatten ursprünglich vor, innerhalb eines Jahres 1.000 Mitgliedschaft en zu lukrieren. Doch zu unser aller Überraschung war die Zahl der Registrierungen bereits nach einem einzigen Tag erreicht. Wir haben es nicht fassen können!“ Mittlerweile ist der Andrang auf den ungewöhnlichen Coworking Space im Herzen Londons so groß, dass ein eigens eingerichtetes Komitee aus insgesamt 16 Frauen aus allen Anwärterinnen die künftigen Mieterinnen auswählt und auf diese Weise für einen stets ausgewogenen Business-Mix sorgt.
Eine Jahresmitgliedschaft im The AllBright kostet 750 Pfund, also rund 850 Euro. Hinzu kommt eine einmalige Einschreibgebühr in der Höhe von 300 Pfund (340 Euro). Frau bekommt dadurch nicht nur Zutritt zu Café, Lounge und unterschiedlich gestalteten Arbeitstischen und Konferenzräumen, sondern kann auch an den in der Mitgliedschaft enthaltenen Dienstleitungen teilhaben. Dazu gehören regelmäßige Vernetzungstreff en, die sogenannte The AllBright Academy oder etwa der monatlich stattfindende The AllBright Club, bei dem Gründerinnen und junge Selbsttätige etablierten, erfolgreichen Unternehme- rinnen begegnen und sich mit ihnen auf Augenhöhe austauschen können. Erfraulicher Aspekt am Rande: Jedes Jahr werden 23 geförderte Coworking-Plätze an jene Frauen vergeben, die sich eine Mitgliedschaft sonst nicht leisten könnten.
„Dieser Coworking Space besteht nicht nur aus Ziegeln und Mörtel, sondern ist in erster Linie ein Symbol, eine Metapher für das in diesen Räumen gelebte Miteinander“, sagt Wosskow. „Wir haben Frauen aus allen Ländern, allen Ethnien und allen beruflichen Hintergründen. Und das Allerwichtigste ist, dass wir hier nicht nebeneinander, sondern wirklich miteinander arbeiten. Wir legen größten Wert darauf, voneinander zu lernen. Dazu gehört auch, dass wir unseren Mitgliederinnen ein sehr professionelles Mentoring- Programm anbieten.“
Aber natürlich, meint Wosskow in einem Radio-Interview mit dem britischen Sender Monocle, das Anfang Oktober ausgestrahlt wurde, habe sie sich auch um das materielle Innenleben hinter all den Ziegeln und Mörtelfugen gekümmert. Der Fokus der Inneneinrichtung richtet sich auf klassische britische Eleganz in Schwarz- Weiß, unterschiedlichen Grautönen und einigen kräftigen Farbtupfern. Hinzu kommen Plüsch, Messing und satte, dunkle Hölzer. „Und natürlich darf auch ein bisschen Glamour nicht fehlen“, so Wosskow. „Die Gestaltung spielt eine große Rolle, weil sie die Mission dieses Coworking Spaces mitprägt und die Ideen und Werte, für die wir stehen, anschaulich macht. Daher haben wir Wert darauf gelegt, dass The AllBright einen reifen und erwachsenen Eindruck vermittelt – ganz ohne Pink und Pastell.“
Die meisten der hier vorzufindenden Möbel wurden von Frauen entworfen. Die Kunst an den Wänden stammt ebenfalls von Frauen. Der Wein stammt von Winzerinnen aus der ganzen Welt. Es gibt eine Küchenchefin, die Woche für Woche neue Menüs kreiert, Yogalehrerinnen, die im Gymnastikraum für den körperlichen Ausgleich sorgen, sowie nationale und internationale DJanes, die an manchen Abenden Lounge- oder Tanzmusik auflegen. „Wir wollen die Frauen vor den Vorhang holen und auf diese Weise aufzeigen, in wie vielen Bereichen Frauen heute schon federführend tätig sind.“ Aktuell geht es im The AllBright recht stressig zu. Anna Jones und Debbie Wosskow fliegen alle zwei Wochen nach Los Angeles, um ihr nächstes Projekt zu begleiten. Im Frühjahr nächsten Jahres wird dort The AllBright II seine Pforten öffnen.
The AllBright ist kein Einzelfall. Zumindest nicht im anglo-amerikanischen Raum. Mit Clubs und Coworking Spaces wie etwa The Riveter in Seattle und Los Angeles sowie The Wing mit Niederlassungen in Manhattan, Brooklyn, Washington D.C., San Francisco und West Hollywood nimmt die Zahl der konzentrierten Frauenpower von Monat zu Monat zu. Weitere Spaces in Denver, Dallas, Houston, Chicago und Minneapolis befinden sich bereits in Planung. Einige weitere Entwicklungen, hört man zwischen den Zeilen heraus, werden vorerst noch geheim gehalten.
Fragt sich nur: Gibt es denn gar keinen Hauch von Herrlichkeit in diesen durch und durch weiblich geprägten Gemäuern? Die Codes und Spielregeln wer- den von Space zu Space unterschiedlich gehandhabt. Und während in einigen Coworking Spaces Männern der Zutritt streng verwehrt wird, werden sie andernorts herzlich willkommen geheißen. Auf einem der schwarz-weiß gestreiften Sofas hat gerade ein junger Mann Patz genommen, iPhone-Stöpsel im Ohr, vereinbart gerade einen Besprechungstermin für kommende Woche. Der Herr, klassischer Anzug, bunte Socken, weiße Sneakers, ist einer von nur wenigen männlichen AllBrightern. „Wir wollen niemanden ausgrenzen“, sagt Debbie Wosskow, „und schon gar nicht wollen wir hier einen elitären Elfenbeinturm schaffen, der nichts mit der Realität da draußen zu tun hat. Wir wollen lediglich einen Ort schaffen, an dem sich manche Frauen etwas wohler fühlen dürfen als anderswo.
Autor: Wojciech Czaja, Architekturjournalist