Ein Rausch wie damals.

In einer ehemaligen Opiumfabrik in Shanghai wird heute bunt und fröhlich gearbeitet. Der New Yorker Coworking-Anbieter WeWork hat hier in Kooperation mit dem chinesischen Designbüro Linehouse einen retro-tropisch-orientalischen Reigen geschaffen, der einen irgendwie umhaut.

Seit der Qing-Dynastie spielt Opium eine große Rolle in der chinesischen Kultur. Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, als der Opiumhandel mit Europa seinen Höhepunkt erreichte, entstanden in ganz China zahlreiche Opiumfabriken, vor allem in den Hafenstädten Hongkong und Shanghai. Eine davon steht bis heute im Stadtteil Jing’An im Norden der Shanghaier Innenstadt, ein schöner Backsteinbau mit prächtigem industriellem Charme. Doch statt der psychischen Freude, die der Saft aus der Mohnkapsel einst bescherte, geben sich die hier arbeitenden Menschen heute vor allem dem Farbenrausch hin. Denn: Seit einigen Jahren wird die ehemalige Opiumfabrik als Coworking-Space des weltweit agierenden Anbieters WeWork genutzt.

„Ich kann mich noch genau an den allerersten Eindruck erinnern“, sagt Luuk Strijbosch, Community-Director von WeWork China, der den US-amerikanischen Coworking-Ableger im Land der Mitte leitet und koordiniert. „Ich war gerade erst nach Shanghai gekommen, es hat geregnet in Strömen an diesem Tag, doch als ich das Gebäude betreten habe, konnte ich sofort eine unglaublich starke Energie spüren.“ Heute, nach rigorosen, aber zugleich behutsamen Umbau- und Sanierungsmaßnahmen, erstrahlt die einstige Fabrikanlage als quirliger, lebendiger Hub mit bunten Menschen – 1.300 Mitglieder an der Zahl – und noch viel bunteren architektonischen Eingriffen. Sein Lieblingsort, so Strijbosch, man kann es ihm nicht verübeln, ist das Atrium mit der grünen Stahltreppe, die sich wie eine fröhliche Skulptur nach oben schraubt.

Zu verdanken ist dies dem chinesischen Design- und Architekturbüro Linehouse. Das 2012 gegründete Unternehmen ist auf Büros und Objektarchitektur spezialisiert und bemüht sich in seinen Konzepten, traditionelle chinesische Einflüsse mit einer frischen, aber eleganten Sprache zu kombinieren. „Und ich glaube“, sagt Briar Hickling, eine der beiden Geschäftsführerinnen von Linehouse, „das Resultat ist nicht nur frech in kultureller Hinsicht, sondern vermittelt auch eine unglaubliche Freude, Wärme und Geborgenheit. Wo sonst findet man schicke Fauteuils im Vintage-Look neben Holz, Stahl, Messing, wilden Tapeten, verrückten Fliesenmustern und traditioneller chinesischer Keramik? Wir wollten ein glückliches Wohnzimmer bauen. Und ich glaube, das ist uns auch gelungen.“

Herzstück der revitalisierten WeWork-Fabrik ist der ehemalige Innenhof, der nun mit Glas gedeckt, um einen flankierenden Stahlbau erweitert und zu einem großen, heterogenen Atrium ausgebaut wurde. „Wir wollten diesen Raum so richtig zelebrieren“, meint Hickling. Die Zutaten dieses üppigen, retro-tropisch-orientalischen Reigens sind eine schlichte, elegante Bar, Mid-Century-Möbel wie aus Omamas Wohnzimmer, wild gemusterte Stoffe, bunt zusammengewürfelte Materialien, scheinbar schwebende Kugellampen, diverse Gummibaumpflanzen und jede Menge efeugrüner Farbe.

Am Boden und im Brüstungsbereich kam bunt gestreifter Terrazzo mit unterschiedlichen Farb- und Zuschlagstoffen zum Einsatz. Der Boden wurde massiv gegossen, die vertikale Brüstung wurde in einzelnen Fertigteilen auf die Baustelle geliefert und anschließend mineralisch verklebt, geschliffen und geölt. „Dieser Teil war materiell und logistisch sehr aufwändig“, sagt die Designerin. „Und auch finanziell ist Terrazzo in diesen Mengen und Fertigungsmethoden nicht gerade ein Schnäppchen. Aber wenn man sich den alten massiven Steinsockel dieses Gebäudes anschaut, dann merkt man sofort, wie Alt und Neu einen wunderschönen Dialog miteinander eingehen. In gewisser Weise, so scheint es mir, waren wir es dem Bauwerk schuldig, dieses Element aufzugreifen und mit einem modernen Baustoff neu zu interpretieren.“

Ergänzt wird der kühle Terrazzoboden von optisch warmen und haptisch absorbierenden Materialien wie etwa Holz, Textil und gebürstetem Messing. Die Möbel sind eine wilde Mischung von Brands aus allen Kontinenten – von Tiwu über Muuto bis Why Not. In den Korridoren entdeckt man Kunst von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern. Und in den Toiletten und Konferenzräumen stößt man alle paar Meter auf immer wieder neue, immer verrücktere Tapeten und Fliesenprodukte, die Briar Hickling mit ihrer Partnerin Alex Mok selbst entworfen hat. „Wohn- und Arbeitsgenuss“, sagen die beiden, „ist für uns etwas Holistisches, Ganzheitliches. Und wenn man den Auftrag ernst nimmt, dann reicht die Entwurfsarbeit bis zur allerletzten Fliesenfuge.“

WeWork betreibt rund 800 Coworking-Spaces in mehr als hundert Städten weltweit – darunter auch in exotischen Business-Destinationen wie etwa Haifa, Suzhou oder Monterrey. Die 5.500 Quadratmeter große Fabrik in Jing’An zählt mit Sicherheit zu den räumlich kräftigsten und atmosphärisch geilsten Coworking-Landschaften, die der New Yorker Hub-Anbieter jemals kreiert hat. „In den letzten zehn Jahren hat sich das Arbeiten massiv verändert“, sagt Luuk Strijbosch. „Mehr noch als ums konzentrierte Arbeiten geht es heute darum, dass Menschen aus unterschiedlichen Branchen und Büros miteinander interagieren und Reibungsflächen für Kooperation ausloten. Hier, an diesem Ort haben wir ein richtiges Schwerkraft-Zentrum geschaffen, wo man sich diesem Magnetismus des Miteinander kaum noch entziehen kann.“ Ein Rausch wie damals, nur halt anders.

Fotos: Linehouse/Jonathan Leijonhufvud

 

Autor: Wojciech Czaja, Architekturjournalist

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