Change-Management in disruptiven Zeiten.

Was wir aus COVID-19 für die Gestaltung neuer Arbeitswelten lernen können.

COVID-19 hat die Spielregeln von Organisationen schlagartig auf den Kopf gestellt. Die Folgen werden noch lange spürbar sein. Anstatt Prozesse und Veränderungen step by step in die Unter­nehmenskultur einzuführen, müssen in Ausnahmesituationen Veränderungen über Nacht passieren. Wir haben dazu Christian Vieira dos Santos, Geschäftsführer von SYMBIOS und Experte für Transformationsprozesse in neue Arbeitswelten, zu einem Interview gebeten.

 

In der weltweiten Coronakrise sind viele Firmen an ihre Grenzen gestoßen und auf „Notbetrieb“ gefahren. Lässt sich so ein Horrorszenario in irgendeiner Form vorbereiten?

Die Coronakrise macht vieles, was es vorher schon gab, noch einmal deutlicher. Wie unter einem Brennglas. So hat uns Corona deutlich aufgezeigt, wie vernetzt, komplex und dynamisch unsere Welt ist. Dynamik beschreibt nichts anderes als die Wahrscheinlichkeit, mit Überraschungen konfrontiert zu werden.

Komplex hingegen ist etwas, wenn einfache Lösungen auf Basis von „Wenn-Dann-Zusammenhängen“ nicht mehr funktionieren. Also im Sinne von:  Wenn A passiert, dann muss ich B tun, damit C rauskommt. Covid-19 ist beides. Dynamisch und komplex. Es trat überraschend auf und ist mit einfachen Antworten nicht lösbar.

Unsere heutigen Organisationen sind nicht auf Dyna­mik und Komplexität ausgelegt. Im Gegenteil, sie ba­sieren auf Berechenbarkeit, Planbarkeit und Stabilität. In einem Umfeld, das nicht planbar ist, weil es voller Über­raschungen steckt, funktionieren diese Formen der Führung und Organisation nicht mehr. Die Systeme, die uns im 20. Jahrhundert den Wohlstand brachten, versagen im 21. Jahrhundert.

 

Wie können Unternehmen auf die Dynamik und Kom­plexität reagieren?

Man kennt mittlerweile gute Lösungen, wie wir Führung, Organisationen und Zusammenarbeit gestalten müssen, damit wir Dynamik und Komplexität besser beherrschen. Das ist das Metier von New Work und Agile. Anstelle von Planung, zentraler Steuerung und arbeitsteiliger Prozesse treten Wandlungsfähigkeit (Agilität), kreative Problemlösung sowie die Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Selbstorganisation. Corona hält daher eine große Lernchance für die Entwicklung dieser Fähigkeiten für uns bereit, um künftig besser mit dynamischen Ereignissen und komplexen Problemstellungen umgehen zu können.  

 

Was können Unternehmen Ihrer Meinung nach konkret tun, um diese Chance zu nutzen?

Die Coronakrise hat beispielsweise dazu geführt, dass selbst das zögerlichste Unternehmen auf virtuelle Zusammenarbeit umsteigen musste. Und zwar von heute auf morgen, ohne lange Ausverhandlungsprozesse über Home-Office-Regelungen. Auch mussten Unternehmen vielfach kreative Lösungen finden, um das von heute auf morgen zu ermöglichen. Das war Agilität in Reinstform. Diese Unternehmen haben dann auch erkannt, dass Sie Ihren Mitarbeitern vertrauen können, dass sie ihre Arbeit eigenverantwortlich erledigen, auch wenn man sich nur hin und wieder via Videokonferenz sieht.

 

Corona hat gezeigt, dass viele Arbeiten auch remote mit Videokonferenzen und Collaboration-Tools erledigt werden können. Brauchen wir dann künftig überhaupt noch Büros?

Auch hier wirkt Corona wie ein Brennglas. Denn schon vor Corona haben immer mehr Unternehmen die Bedeutung erkannt, die das Büro für die Unternehmenskultur hat. Corona zeigt uns, dass viel mehr Arbeiten auch remote und unabhängig von Orts- und Zeitvorgaben erledigt werden können. Das birgt zum Beispiel die große Chance, künftig den Geschäfts- und Pendlerverkehr zu reduzieren. Corona zeigt uns aber auch, wie wichtig für uns Menschen der soziale Austausch ist. Das Büro wird daher noch mehr wie zuvor zu einem Ort des lebendigen Miteinanders werden. Zu einem Ort, wo Gemeinschaftsgefühl, Teamgeist und kulturelle Identität ermöglicht werden.

 

Was ist wichtig, um die neu gewonnenen Erkenntnisse auch in einen normalisierten Arbeitsalltag zu integrie­ren und nicht wieder in den „alten Trott“ zu verfallen?

Der Rück­fall in alte Verhaltensmuster darf meiner Meinung nach nicht unterschätzt werden. Man kennt diesen Effekt zum Beispiel von Kursen: Das andere Umfeld in einem Seminar schafft einen anderen Kontext, der Neues möglich macht. Fällt dieser Kontext wieder weg, schleichen sich rasch wieder die alten Routinen ein. Unternehmen sollten sich deshalb fragen, welche Lernerfahrungen aus der Coronazeit zur neuen Norm im Alltag werden können.

 

Welche Art von Menschen braucht es, um Veränderungen in die richtigen Bahnen zu lenken?

Selbstorganisation, Eigenverantwortung, interdisziplinäre Problemlösungskompetenz und Wandlungsfähigkeit brauchen eine völlig neue Art zu denken, ein neues Mindset bzw. Bewusstsein. Ein Umfeld zu schaffen, in dem Mitarbeiter und die gesamte Organisation diese Fähigkeiten entwickeln können. Wenn das gelingt, hat Corona auch etwas Gutes gehabt.

Wir Menschen kommen als höchst kreative Wesen zur Welt, die nichts lieber wollen, als selbstbestimmt und im Verbund mit anderen Menschen über sich hinauszuwachsen. Jeder Mensch bringt somit von Natur aus jene Voraussetzungen mit, die wir in der Zukunft brauchen. Leider wurden vielen Menschen diese natürlichen Fähigkeiten im Laufe ihres Lebens abgewöhnt. Das ist meiner Meinung nach eine der großen Aufgaben, vor denen Führungskräfte heute stehen: Ein Umfeld zu schaffen, in dem diese Fähigkeiten wieder aufblühen können.

 

Autor: Franz Gurtner (Wiesner-Hager Content-Redaktion) im Interview mit Christian Vieira dos Santos (SYMBIOS)

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