Bauanleitung Gesundbüro.

In materieller Hinsicht haben Organisationen, Planungsbranche und Büromöbelindustrie in den vergangenen Jahren bereits wichtige Hausaufgaben erfüllt – und eine Vielzahl an Healthy Offices geschaffen. Nun geht es darum, die letzten noch fehlenden Schrauben in Hinsicht auf softe, immaterielle Faktoren anzuziehen. Dazu gehört auch gesunde Ernährung.

Er schlägt vor, Aspirin zu schlucken, um nicht an Krebs zu erkranken, bezeichnet Stöckelschuhe als Risikoquelle für Entzündungsherde und hat in einem Interview einmal sogar einen sehr drastischen Vergleich gemacht, indem er meinte: „Wir haben Studien, die beweisen, dass Bewegung maßgeblich zur Gesundheit beiträgt. Einen ganz Tag lang im Büro zu sitzen hingegen, ohne jegliche Bewegung zwischendurch, ist genauso schädlich wie eine Packung Zigaretten zu rauchen.“

Der US-amerikanische Arzt und Onkologe David B. Agus, Autor von "The Lucky Years, Leben ohne Krankheit" und „Der einfache Weg zu einem langen Leben" zählt zu den weltweit umstrittensten Protagonisten der Medizin. Er hat bereits Steve Jobs, Lance Armstrong und Edward Kennedy behandelt, er sieht Prävention als Schlüssel in die Zukunft, und ja, seine provokanten Aussagen polarisieren: Einerseits machen sie spröde Gesundheitsthemen publikumstauglich und niederschwellig verständlich, andererseits rufen sie auch Kritikerinnen und Kritiker auf den Plan. Doch was ist dran an seinen Provokationen?

„Ich wäre vorsichtig damit, seine Bonmots 1:1 auf die Arbeitswelt zu übertragen“, sagt die Wiener Gesundheitswissenschafterin Sonia Raviola. „Aber wenn man die Tätigkeit des Sitzens genauer unter die Lupe nimmt, dann hat die Aussage von David B. Agus zumindest einen wahren Kern. Wenn man acht Stunden lang kontinuierlich sitzt, wie dies vor einigen Jahren offiziell noch einem klassischen Bürojob entsprochen hat, dann wirkt sich das auf die physische und mentale Gesundheit nicht gerade positiv aus.“ In manchen Fällen, so Raviola, könne zu langes, bewegungsloses Sitzen zu Kreislauf- und Stoffwechsel-Problemen führen. Aber auch das Gehirn leide darunter, denn: „In einem bewegungslosen, stundenlang in einer Position verharrenden Körper arbeiten die Neuronen und Synapsen anders als etwa in einem Körper, der in regelmäßigen Abständen Abwechslung erlebt.“ Ganz nach dem Apfelmotto: Some movement a day keeps the doctor away.

Für den klassischen Büroarbeitsplatz empfiehlt die Expertin daher einen hochwertigen Drehstuhl mit Lordosenstütze und idealerweise mit einer auf das Körpergewicht abgestimmten Mechanik, die selbst auf kleinste Bewegungen dynamisch reagiert. „Der Körper muss in Bewegung bleiben, und zwar sowohl innerhalb des Sitzens als auch – über den Tag verteilt – zwischen unterschiedlichen Körperhaltungen wie etwa Sitzen, Stehen, Gehen, Liegen und Balancieren.“ Das bedeutet: Wenn es die Situation am Arbeitsplatz erlaubt, dann sollten Team-Besprechungen und ein Teil der Schreibtischarbeit unbedingt im Stehen erfolgen. In einigen Unternehmen habe die Körperaktivierung sogar schon in den Restaurants Einzug gehalten: Wer will, kann das Mittagessen an einem Stehtisch zu sich nehmen.

Nicht nur am Schreibtisch und in der Kantine spielt Bewegung eine wichtige Rolle, sondern auch im Yoga- oder Fitnessraum, sofern ein solch räumliches Angebot den Mitarbeiter*innen zur Verfügung steht. „Es geht nicht um Auspowern, Muskelaufbau oder schweißtreibendes Herz-Kreislauf-Training“, so Raviola, „sondern um eine moderate Mobilisierung des Körpers, und wenn es nur für 20 Minuten ist.“

Im Sinne einer gesunden, transparenten und authentischen Unternehmenskultur sollte das Angebot nach Möglichkeit auch vom oberen und mittleren Management genutzt werden. Und: „Auf jeden Fall nicht nur in der Früh und am Ende des Arbeitstages, wenn die meisten Leute bereits nach Hause gegangen sind, sondern in der Kernarbeitszeit. Schließlich ist Bewegung eine zentrale Säule der fünf Submodalitäten, die in der Verhaltens- und Verhältnisprävention zum Tragen kommen.“

Die fünf Submodalitäten – so der Fachterminus – umfassen Bewegen, Ernähren, Lernen, Ruhen und Lieben, was im Arbeitskontext als die Summe von sozialen Kontakten, schönen Momenten und einer ästhetischen, visuell wertschätzenden Umgebung übersetzt werden kann. Nur wenn all diese fünf Submodalitäten berücksichtigt werden und am Arbeitsplatz Niederschlag finden, meint Raviola, könne man von einem Healthy Office sprechen. „Ein gutes, gesundes, ausgeglichenes Speisenangebot in der Kantine ist genauso wichtig wie eine Arbeitsumgebung mit ästhetisch ansprechenden Möbeln und Produkten sowie die Möglichkeit zur Fortbildung in Form von Coachings, Trainings, Seminaren, Konferenzen oder Bildungskarenzen. All das trägt zu einem gesunden Arbeitsplatz bei.“

Hört man sich aktuell in der Arbeits- und Gesundheitspsychologie um, so scheint es, spielen softe Faktoren wie Ernährung, Bewegung und soziales Arbeitsklima in der Tat eine zentrale Rolle, ja sind vielleicht sogar – nachdem viele Arbeitgeber ihre Hausübung in Bezug auf einen ergonomischen, gut funktionierenden Arbeitsplatz längst erfüllt haben – der größte Hebel zur Erreichung eines gesunden Wohlfühl-Jobs. „Eine gesunde Verpflegung am Arbeitsplatz“, meint die Grazer Arbeits- und Gesundheitspsychologin Christine Korak, „ist einer der wichtigsten und zugleich am einfachsten umzusetzenden Parameter.“ In großen Unternehmen mit eigener Kantine brauche es leichte, hochwertige Menüs, in kleineren Betrieben bis zu 30, 40 Mitarbeiter*innen hingegen gebe es die Möglichkeit, mithilfe einer Fachkraft selbst Speisen zuzubereiten.

„Immer häufiger aber“, so Korak, „greifen Betriebe auf externes, nachhaltiges Delivery Service zurück – eine Art mjam, Foodora oder Lieferando im B2B-Bereich. Und das Angebot an grünen, gesunden Gerichten, die täglich frisch ins Büro geliefert werden, wird immer größer.“ In der Regel mietet der Arbeitgeber mit der monatlichen Teilnahmegebühr einen dazu passenden Aufwärm-Ofen an, die Arbeitnehmer*innen können mit einer entsprechenden Förderung um ein paar Euro regionale, frisch zubereitete Kost beziehen. Und ja, dazu braucht es mehr als nur einen grünen Apfel im Biokistl. Je nach Modell und Qualitätsstandard wird die grüne Küche zertifiziert: Das Spektrum reicht vom Grünen Teller bis zur Grünen Haube.

Bernhard Kern, CEO der Roomware Consulting GmbH, sieht in der Gestaltung und Ausstattung von sozialen Begegnungsräumen – Cafés, Restaurants und informelle Meeting-Places sind hier dezidiert mitgemeint – sogar eine der zentralen Anforderungen und Herausforderungen, die auf Arbeitgeber in Zukunft vermehrt zukommen werden. „Eine gute Kantine, eine schöne, respektvolle Möblierung und eine offene, flexible Unternehmenskultur, die es zulässt, je nach Wunsch und Belieben auch mal den ganzen Tag mit Laptop und Caffè Latte in der Kantine zu arbeiten, sind wichtige Assets, die man nicht unterschätzen sollte.“ Gerade in einem Markt, der angesichts des Arbeitskräftemangels aktuell von Arbeitnehmer*innen mitgestaltet wird, so Kern, seien diese Faktoren wichtige Tools für Recruiting und Employer Branding.

Und der Salzburger Arbeitspsychologe Christian Blind, Tätigkeitsschwerpunkt auf Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz, rät Unternehmen, heute mehr denn je auf eine ausgewogene Work-Life-Balance zu achten. „Mit der Corona-Pandemie ist vieles, was wir uns bis dahin aufgebaut haben, auf einen Schlag verschwunden. Mit dem Siegeszug des Home-Office, neuen digitalen Kommunikationstools und einer überaus dynamischen Entwicklung in den letzten Jahren müssen wir vieles wieder neu lernen und neu etablieren.“ Dies sei nicht nur eine Investition in Effizienz, Produktivität, weniger Krankenstandstage sowie subjektives und objektives Wohlbefinden am Arbeitsplatz, sondern auch eine notwendige Maßnahme im Sinne des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG), demnach seit 2013 eine regelmäßige physische wie auch psychische Evaluierung des Arbeitsplatzes durchzuführen ist. „Nur ist dies“, so Blind, „nicht allen Betrieben bewusst.“

So gut das durchschnittliche Büro mittlerweile geworden ist, so selbstverständlich der Fokus auf eine ergonomische Möblierung, auf gute Akustik, auf eine ansprechende Belichtung und Beleuchtung, auf ökologische Baustoffe, auf eine nachweislich gesundheitsfördernde Begrünung der Innen- und Außenräume gerichtet ist, was mittlerweile Teil der Planungspraxis geworden ist – in einem Punkt sehen fast alle Expert*innen noch deutlichen Nachholbedarf: und zwar im Innenraumklima. Das Erfahrungsspektrum der Branche umfasst zu kalt, zu warm, zu trocken, zu zugig, zu unzumutbar. Sogar in vielen Neubauten, so die einhellige Beobachtung, gebe es immer wieder klimatische Probleme. „Das Innenraumklima ist vermutlich der einzige Parameter, der keinen Durchschnittswert zulässt und auf dessen Basis man daher auch keine allgemeingültige, allgemeinrepräsentative Aussage treffen kann“, meint Sonia Raviola. „Denn Temperatur wird von allen unterschiedlich wahrgenommen – einerseits aufgrund der körperlichen Beschaffenheit, andererseits aufgrund von Gender-Aspekten. Fakt ist: Frauen und Männer haben aufgrund der Fettverbrennung ein grundsätzlich unterschiedliches Temperaturempfinden.“ Das subjektive, gefühlte Delta liegt zwischen zwei und fünf Grad Celsius.

Was tun? „Offen und respektvoll darüber reden und sich mit dem Thema konstruktiv auseinandersetzen“, empfiehlt Raviola. „So wie es gelungen ist, dem Anspruch an ein Healthy Office in bereits so vielen Aspekten gerecht zu werden, bin ich zuversichtlich, dass auch dieser Punkt noch gelöst werden kann – nicht mit einer Pauschallösung, aber mit einem Katalog an individuellen Stellschrauben.“

 

Autor: Wojciech Czaja, Architekturjournalist

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